Tough Guy England 2017, von Steve Klockow:
Ich bin am Sonntag den 30. und letzten originalen Tough Guy in Wolverhampton, England gelaufen.
18 Km voller Monster, Schrecken und Ängste.
Wir versammelten uns am Morgen, ganz entspannt und fuhren vom Hotel los. Auf dem Weg merkte ich, dass ich ganz notwendig und vor allem sehr plötzlich Wasser lassen musste. Nicht um die Frage verlegen, ob der Fahrer kurz stoppen könne, sagte er: „NEIN, wir müssen da hin, verkneif es dir noch 15 Minuten. Das ist dein erstes Hindernis für den heutigen Tag.“
Die nächste rote Ampel nutzte ich um spontan aus dem Auto zu springen und mich zu entlasten.
Mit relativ entspannt- genervten Worten wurde kurz reagiert, aber schnell waren wir wieder im Gedanken beim Lauf.
Wie immer wollte ich nackt laufen (kurze Hose, Mütze, Flipflops).
Ich hatte mir bewusst keine Sportschuhe gekauft, weil ich sie bei den zwei letzten Läufen jeweils verloren hatte. Also war mir spontan die Idee gekommen, einfach in Flipflops zu laufen, weil ich sie ja sowieso verlieren würde.
Nachdem mich alle für verrückt erklärten und ich merkte, dass die Flipflops bei nassem Boden sehr sehr rutschig waren, fragte ich zig Leute, ob sie Tape bei hätten, damit ich sie mir an den Fuß tapen kann.
Die Hoffnung war, dass sie so ein paar Kilometer länger tragen könnte und sie nicht sofort im Schlamm verliere.
Der Start kam immer näher und ich zog mich aus.
Frisch vom unbarmherzigen, englischen Wetter abgekühlt gingen wir zum Startpunkt. Es war 10.30 Uhr. 11 Uhr sollte es los gehen und wir standen im Block. Plötzlich kam die Nachricht, dass sich der Start aufgrund der Masse an Teilnehmern um 45 Minuten verzögern würde.
Ich ärgerte mich innerlich, weil die Kälte beim herumstehen so viel Energie kostet und ich nicht durch eine Verzögerung meine ganze Kraft verlieren wollte.
Also immer bewegen um warm zu bleiben und nicht auszukühlen. Nach dem Start warfen viele Läufer einzelne Kleidungsstücke weg um ohne sie zu laufen. Ich sah Jacken, T‑Shirts und Pullover mitten auf den Wegen liegen. Später nahm ich eine Jacke falls es mir doch zu kalt werden sollte.
Der Lauf begann super entspannt. Frische Wiesen, Heuballen und Hölzer über die wir springen sollten. Alles erinnerte an einen entspannten und freundlichen Lauf. Da ich aber wusste, was mir noch blühen würde, blieb ich respektvoll und entspannte mich nicht.
Langsam kamen die Berge und so mussten wir einen lang gezogenen Berg immer wieder hoch und runter, hoch und runter, hoch und runter laufen. Ich weiß nicht, wie oft es war, aber es werden ca. 8 bis 10 Mal gewesen sein. Das ist es, was Kraft raubt und einen an die inneren Grenzen bringt, wenn man nachher den elektrischen Strom und die Kälte abbekommt. Kurze, schnelle Schritte bergauf, oder auch gehen, je nachdem wie stark der Anstieg ist, aber so energiesparend wie möglich laufen um keine Kraft zu verschwenden. Was jetzt verloren geht, fehlt am Ende, wenn die harten Hindernisse kommen und Mr. Mouse (der Veranstalter) wird bei seinem letzten Rennen sicher nicht an Härte gespart haben.
Ich musste mir eingestehen, dass Flipflops (auch mit Riemen um die Hacke getaped) nicht sehr geeignet sind, wenn man Berge hoch und runter läuft. So riss mir der Riemen vom Hacken und ich dachte: „ohne Riemen kein Schuh“, also nahm ich auch den anderen ab und steckte mir beide Flipflops hinten in die Hose, um barfuß weiter zu laufen. Der Untergrund fühlte sich angenehm an. Nicht zu kalt und nicht zu steinig. Allerdings war ich ja auch noch nicht in Matsch und Wasser gelaufen und wir hatten milde 6 Grad.
Spontan vielen mir die Horror-Geschichten ein, die mir die anderen Läufer meines Teams erzählt hatten, dass überall zerbrochene Ziegelsteine im Schlamm stecken würden.
Das Problem am barfuß laufen ist, dass man nur einen kleinen Unfall haben muss. Wenn die Haut am Fuß einmal reißt, ist nicht mehr viel zu machen. Wenn die Wunde doller blutet und nicht nur eine Kratzwunde ist, kann man nicht mehr weiter laufen. In diesem Fall hätte ich aber auch nicht aufgegeben und genau deswegen wollte ich vorsichtig sein. Ich war so übermotiviert, ich wäre auch verletzt weiter gelaufen.
Kratzwunden hatte ich genug und blutete auch immer wieder. Fremde Läufer, wiesen mich immer wieder darauf hin, dass ich an den Zehen blutete. Ich antwortete: „ist ja nicht so schlimm, heißt ja schließlich auch Tough Guy“.
Und so lief ich mit viel Respekt und großer Vorsicht, barfuß über das Feld der Ehre.
Nachdem ich stumpf die Berge hoch und runter gelaufen war, bemerkte ich, dass ich die anderen Sturmwölfe verloren hatte. Nicole aus meinem Team war noch in der Nähe, ein paar Minuten später war aber auch sie weg.
Ich war mir sicher, dass alle hinter mir waren und so wartete ich. Gefühlte fünf Minuten ging ich zu Fuß ohne zu laufen, aber es kam niemand. Zweifel breiteten sich in meinen Gedanken aus. Ich wusste nicht, was mit ihnen passiert war, außerdem war ich ja barfuß sowieso langsamer als sie. Daher dachte ich mir, dass ich lieber weiter laufe und sie mich dann sowieso einholen würden.
Die Berge waren geschafft, jetzt wurde es langsam nass und schlammig. Die ersten Wasserhindernisse kamen und zeigten sofort ihre Wirkung. Wie auf einem Schlachtfeld lagen zahlreiche Menschen am Rand mit schmerzverzehrten Gesichtern und Krämpfen in den Gliedern.
Nun wurde es auch mir immer kälter. Wasser, Schlamm, Schlamm, Wasser, Wasser, Wasser, Schlamm.… So sahen die folgenden Hindernisse aus. Eigentlich geht das ganz gut, wenn man zwischendurch die Möglichkeit hat, sich durch Laufstrecke wieder etwas aufzuwärmen. Leider hatten wir dieses Glück nicht und die Hindernisse folgten augenblicklich auf einander. Mein Körper wurde schwächer, aber mein Geist blieb stark.
Das einzige, was meiner Meinung nach hilft, ist diese Hindernisse schnell zu meistern. Schnell durchs Wasser, schnell durch den Schlamm. Ich schlängelte mich immer zwischen anderen Läufern durch und an diesen vorbei. Es durfte keine Zeit verloren werden.
Immernoch keiner von den anderen zu sehen. Ich setzte mich an den Rand und wärmte meine Füße mit den Händen. Viele viele Läufer sprachen mich an, ob alles OK sei. Ich lächelte und sagte, ich brauche nur eine kleine Pause.
Es ging weiter. Schritt für Schritt, immer im ungewissen, was sich im Matsch an spitzen Steinen verbürgt. Gelegentlich trat ich auf spitzere Kanten, aber alles noch recht harmlos.
Die Flipflops hatte ich noch hinten in der Hose zu stecken. Nun war es Zeit, sie zu nutzen. Sie waren aus Gummi und schwammen ja im Wasser immer an der Oberfläche (dachte ich jedenfalls :D)
Ich zog sie an und sie blieben beim ersten Schritt im Matsch stecken Ich verlor einen sofort und warf den anderen dann auch weg. Also eben barfuß weiter. Ich konnte noch lächeln, daher ging es.
Ich hatte jemand ganz besonderen versprochen, dass egal was passiert, ich nur mit der Medaille diesen Lauf verlassen würde. Ich sagte: „Es wird nichts auf dieser Strecke geben, dass stärker als mein Wille ist. Egal was passiert, ich bin härter!“
Es sprach viel dagegen, dass ich es schaffen würde.
Ich hatte im Hostel kein Frühstück bekommen und nur ein bisschen Obst gegessen. Ich war hungrig wie ein Wolf. Ich fror durch das unbarmherzige, englische Wetter und ich hatte keine Schuhe. Außerdem war mein Team weg und ich lief allein. Ich zitterte am ganzen Körper.
Hunger, Kraftlosigkeit und Schmerzen durch Kälte und wechselnde Untergründe, Angst vor Krämpfen, spitzen Steinen und elektrischen Stromkabeln.
Alles Faktoren, die einen zerbrechen können, wenn man körperlich schwach wird.
Ich dachte an alle, die an mich glaubten, die mir vertrauten. Ich dachte an meine Tochter und an die Menschen, bei denen ich genau wusste, dass sie in diesem Moment zu Hause sitzen und an mich denken würden. Im Gedanken sprach ich zu ihnen und sagte, dass sie sich keine Sorgen um mich machen müssen. Ich werde heute durchkommen, egal was passiert!
Das Bewusstsein fokussiert, ging es weiter. Wieder folgenten Schlamm und Wasser in vielfältiger und vorallem zahlreicher Form. Hinein in die Gräben, durch gehen und wieder raus, wieder und wieder.
Die Schlangen der Leute waren mir zu lang. Ich konnte nicht überall warten und weiter auskühlen. Aber ich war gut drauf und fand immer wieder Wege auch schwierige Hindernisse auf relativ einfache und schnelle Weise zu meistern.
Doch trotz der kleveren Ideen blieb die Kälte und ich wurde einfach nicht warm. Auf den riesigen Klettergerüsten taten mir stark die Füße weh, weil ich immer auf die Seile treten musste. Ich merkte wie mein Körper immer schwächer und kälter wurde. Aber plötzlich nach dem Klettergerüst, ein Seegen, ein Feuer über das man springen sollte.
Ich wärmte mich am Feuer. Es rauchte wie verrückt und so musste ich mich ständig vorsehen, dass ich nicht den Rauch einatmete. Wenn es doch passierte, keuchte und hustete ich mir die Seele aus dem Leib.
Meine Hände und Füße waren steif und völlig unterkühlt und so wärmte ich erst die Hände. Ich zitterte am ganzen Körper, aber wenigstens konnte ich die Hände bald wieder bewegen, jetzt die Füße. Ich stellte mich auf ein Bein und hielt das andere ins Feuer.
Das Problem an unterkühlten Beinen ist, man hat nur wenig Gefühl drin und so merkte ich erst, dass ich mich verbrannt hatte, als es nicht warm wurde sondern richtig auf der Haut zu jucken und brennen begann. Schnell ging ich weiter ins kalte Wasser. Dort kühlte die Haut für einige Sekunden ab, dann ging es wieder. Fast normal temperiert ging es also weiter.
Es folgten zahlreiche Klettergerüste, die alle ähnlich aufgebaut waren, also klettern, klettern, klettern.
Ich kam zu der berühmten dunklen Kammer. Man sieht so gut wie nichts, weil es so dunkel ist. Durch die zahlreichen Läufer vor mir, konnte ich mich aber orientieren. Es kamen Steinröhren, durch die man kriechen musste. Zu groß um auf den Knien zu krabbeln, robbte ich auf allen vieren. Zwischendurch hingen vereinzelt Stöcke und Bänder von der viel zu tiefen Decke. Die Bänder waren sonst immer mit Strom gefüllt, nur dieses Mal waren sie anscheinend ausgestellt. Skeptisch und ängstlich wollte ich aber trotzdem keinen Schlag bekommen, also sah ich mich sehr vor, keine Bänder zu berühren.
Ich musste weiter. Wieder merkte ich wie mein Körper immer schwächer wurde. Das Problem war, ich wusste, dass bald das Hinderniss kam, wo so viele Läufer scheiterten, da sie nicht mehr die Kälte ertragen konnten. Es war ein kleiner See, in den man musste um unter vier Balken durch zu tauchen. Immer wieder machte ich mir Gedanken, wie ich es schaffen konnte, mich aufzuwärmen um dort nicht zu scheitern.
Das ist ein enormer Druck, der auf einem lastet, wenn man weiß, dass man körperlich schwach ist aber noch so viel leisten muss.
Endlich war es so weit. Ich sah das Wasser. Ich wusste, dass ich es nicht verhindern konnte und akzeptierte die Situation. Ich ging ins Wasser und war bis zur Brust eingetaucht, als ich vor den Balken stand. Ich dachte, wenn ich alle vier Balken einzeln nehmen würde, würde ich zu stark leiden müssen, weil der Kopf dann dröhnt und die Psyche stark leidet. Also entschied ich mich, alle vier auf einmal zu nehmen.
Ich nahm den Kopf unter Wasser und tauchte durch alle vier Balken durch. Die Jacke, die ich trug, war nun mit Wasser gefüllt. Immer wenn ich die Arme bewegte, bewegte sich auch das Wasser in ihr. So zog ich die Bündchen bei den Handgelenken auf und ließ das restliche Wasser ablaufen.
Nun wieder klettern, klettern, klettern.
Langsam wurde ich müde und körperlich so schwach, dass ich bei jedem weiteren Hindernis die Augen verdrehte.
Witzig war, als ich weiter ging, kam ich zu Balken, die ca. 3 Meter lang waren und 20 cm breit. Man musster drüber balancieren um dann etwa 3 Meter tief ins Wasser zu springen.
Vor mir war ein Engländer, der darauf balancierte. Er ging bis zum Ende des Balkens, drehte sich ängstlich um und sagte, dass er nicht springen wird. Er habe zu viel Angst. In feinstem Englisch sagte ich ihm motivierend, dass er es bis hier her geschafft hat und jetzt nicht aufgeben kann. Ich machte ihm Mut und brachte ihn dazu doch zu springen.
Als ich aber sah, dass er sogar mit dem Kopf ins Wasser eintauchte, dachte ich mir: „Oh Gott, ist das tief, da hab ich gar keine Lust drauf“.
Ich balancierte nach vorn und schaute, was ich machen konnte, um nicht auch so stark ins Wasser zu stürzen wie er. Neben den Balken waren Netze, ich hockte mich auf das Netz und hangelte mich runter, so dass ich nur bis zur Schulter im Wasser landete anstatt ganz unterzutauchen.
Als ich weiter zum Ufer schwamm, sah ich den sichtlich angepissten Engländer, der mir in einem nicht sehr feinen Englisch klar machte, dass ich ein richtiges Arschloch sei.
Man war der sauer auf mich!
Genervte Engländer waren mir aber in diesem Moment nicht so wichtig also lächelte ich und lief weiter.
Die körperlichen Kräfte schwanden immer weiter. Wo ich hinsah überall Schlamm. Ich hörte auf zu denken und handelte nur noch. Ich meisterte jeden Schritt.
Schritt für Schritt, Stück für Stück.
Ständig rutschte ich aus, viel in den Dreck, tat mir weh, war müde, war kalt, war ausgelaugt und hoffte immer, dass es eine Verpflegungsstation gäbe, an der auch Bananen statt ausschließlich Wasser ausgegeben werden.
Nichts! Ich wusste aber auch, dass ich nun kurz vor dem Ziel war. Völlig unterkühlt und ausgelaugt, sah ich ein weiteres Feuer, aber ich wusste, dass ich wenn ich mich jetzt wieder dort wärme, wäre die Umstellung, wieder in die Kälte zu müssen einfach zu groß. Ich quälte mich also weiter und rannte, einfach stumpf gerade aus. Wieder ein See und ich fing an, richtig genervt zu sein. Emotionen kamen in mir hoch, Schwäche machte sich bemerkbar.
Ich ging durch den See und zog mich an den, vom Schlamm verkrusteten Seilen hoch. Nun war es nur noch ein kleines Stück bis zum Ziel und ich konnte es kaum fassen. Ich war immernoch angespannt, weil ich hier alles erwartete.
Nein, Entwarnung! Ich war im Ziel.
Ich konnte mein Glück nicht fassen und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
Ich sah einen Franzosen, mit dem ich im Hostel die Tage verbrachte. Ich sprach ihn an, aber er war so fertig, dass er mich nicht erkannte. Als ich ihm sagte, wer ich bin, erkannte er mich trotzdem nicht.
Egal, ab durchs Ziel und endlich bekam ich die lang ersehnte und hart erkämpfte Medaille. Endlich endeten Schmerzen und Kälte. Noch nicht ganz! Ich musste noch zur Umkleide, die aus einer Scheune bestand.
Ich war allein unterwegs und merkte, wie aller Stress von mir abviel. So starke emotionale Dankbarkeit, das Herabfallen aller Ängste kam in mir hoch. Ich musste mich kurz hinknien. Ich atmete tief durch. Tränen kamen. Tränen der Freude aber auch Verzweiflung, Tränen der Dankbarkeit.
Der Tough Guy in England ist mit Abstand der härteste Hindernislauf, den ich je gelaufen bin. Der Getting Tough im Dezember 2016 war auch ein Monster, aber der Tough Guy hat seinem Namen alle Ehre gemacht.
Er konnte mich nicht brechen, aber er ließ mich vor Ehrfurcht und viel Kälte zittern!
Ich bin dem Schicksal dankbar, dass es so mild zu mir war, dass ich mit meinen Brüdern und Schwestern zu Anfang zusammen laufen konnte, dass so viele Menschen an meine verrückten Gedanken glaubten und mir vertrauten.
Ich bin gern ein bisschen verrückt und ich werde es wieder tun!
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