Ein Laufbericht von Steve Klockow
72 Km voller Emotionen
Ich bin gestern in Thüringen den Rennsteig Supermarathon zum ersten Mal gelaufen. Eine wunderschöne Atmosphäre, mit viel Natur, aber auch vielen Teilnehmern und vor allem, vielen Höhenmetern.
Wir starteten Punkt 6 in Eisenach. Ich bemerkte, dass ich richtig gut drauf war und viel Energie in mir trug. Ich lief also recht schnell, aber trotzdem sehr besonnen.
Alles lief einfach phantastisch. Ich lief über 20 Km wie ein junger Gott und flog förmlich dahin.
Leider muss ich aber gestehen, dass ich nicht immer der vernünftigste Läufer bin und gern Dinge austeste, die mich oft in schwierige Situationen bringen.
Dieses Mal wollte ich unbedingt mit meinen neuen Five Fingers laufen. Sie haben keine richtige Sohle und dementsprechend auch keine Dämpfung. Und so merkte ich bei jedem Schritt, jeden spitzen Stein.
Ich habe nicht erwartet, dass es am Rennsteig auf den Pfaden so viele spitze Steine gäbe und so taten mir nach ca 20 Km so sehr die Füße weh, dass ich mir etwas überlegen musste.
Ich lief also jedes Mal, wenn ich die Möglichkeit hatte auf einer Grasnarbe, denn diese waren meist sehr weich und steinfrei. Oft ging es aber leider nicht und ich musste wieder auf den Wegen laufen.
Und so schleppte ich mich dahin, Schritt für Schritt. Wenn man weiß, dass man noch über 50 Km vor sich hat, denkt man nur noch Schritt für Schritt. Ich motivierte mich mit der Tatsache, dass jeder weitere Schritt einer in Richtung Ziel ist und ich hielt mir vor Augen, wie mir im Ziel die Medaille umgehangen wird. Das ist eine starke Motivation, wenn es mir nicht gut geht. Und so kämpfte ich mit mir.
Bei ca. 30 Km sah ich eine junge Frau, die sich schmerzverzehrt das Knie hielt. Ganz der Kavalier, fragte ich, ob alles in Ordnung wäre und sie sagte “nein, ich habe plötzlich starke Schmerzen im Knie”. Ich sagte ihr, dass wir ja ein Stück zusammen gehen können und dass der Schmerz auch so plötzlich verschwinden könne, wie er kam.
Wir liefen also zusammen und stellten uns einander vor. Anne lief ihren ersten Ultra und hatte sich ein großes Team aus zwei weiteren Läufern und vielen Betreuern mitgebracht, die sie alle anfeuerten. Als Neuling war sie die letzte der Truppe und nun mit mir unterwegs.
Ich war froh, dass ich einen Leidenspartner hatte, mit dem ich mich absprechen und gegenseitig motivieren konnte. Wir führten viele Gespräche und versuchten uns gegenseitig abzulenken. Aber die Schmerzen blieben trotzdem und so kämpften wir uns Schritt für Schritt in Richtung Ziel.
Wir hatten laufend die Zeit im Auge und merkten irgendwann, dass wir es nicht mehr schaffen würden, wenn wir so weiter machten.
Hinzu kam, dass die Strecke etwas mit der Länge verwirrte. Wir wussten nicht genau, ob es 72 oder mehr Km sind. Das ist natürlich kein Problem, wenn man noch genug Zeit hat, aber in unserem Fall war es tragisch, denn wir waren beide total fertig und quälten uns schon seit einigen Stunden.
Ich merkte, dass ich mit ihrer Geschwindigkeit nicht mehr mithalten konnte und sagte ihr, dass sie vorrennen solle. Als sie dann weg war, packte mich aber der Ehrgeiz und ich versuchte mich mental zu besinnen. Ich setzte mich, schloss die Augen, dehnte mich kurz und beschloss nun wie der Teufel zu rennen.
Ich fragte beim nächsten Verpflegungspunkt, wie weit es noch wäre. Die Dame sagte mir, es wären noch 9 Km in 1.13 Stunden. Ich wusste aber, dass ich nicht ordentlich auftreten konnte, weil mir bei jedem Schritt die Füße weh taten.
Jetzt wusste ich aber, es geht ums ganze.
Ich würde niemals in so einer Situation das Handtuch werfen. Wenn ich schon so leiden muss, will ich auch die Medaille dafür bekommen. Also rannte ich los und spürte meine Füße und meine muskulären Schmerzen. Mein Knie tat weh, meine Hüfte schmerzte und meine Füße bekamen jedes Mal einen starken stechenden Schmerz, wenn ich auf einen der vielen Steine trat.
Ich biss die Zähne zusammen und ballte meine Fäuste vor Schmerz, aber ich wusste, dass das alles bald vorbei wäre, wenn ich jetzt weiter machte. Jetzt musste ich kämpfen und alles geben, damit es nicht umsonst war. Ich überholte nun viele weitere Läufer und konnte auch Anne wieder einholen. Sie lief mit mir im selben Tempo und wir versuchten uns gegenseitig zu pushen.
Als wir dann das Tor sahen, viel uns beide eine große Last von den Schultern. Wir liefen etwas langsamer und entspannter hin und merkten auf einmal, dass es gar nicht das Ziel-Tor war sondern nur ein Tor, das zum Ziel führte. Die Dame am Tor sagte: “nur noch einen Kilometer, dann habt ihr es geschafft”.
Ihr könnt euch denken, wie es mir in diesem Moment ging.
Ich rannte also weiter mit Anne und wir rannten durch ein zweites Tor, bis wir dann endlich das Ziel-Tor entdeckten.
Ich war so voller Glückshormone, dass ich nochmal alles aus mir herausholte, um nicht durchs Ziel zu kriechen.
Endlich kam der lang ersehnte Moment und ich bekam meine Medaille, Anne und ich schlossen uns gegenseitig in die Arme und direkt darauf, legte ich mich auf die Wiese und wollte nur noch ausruhen. Ich konnte dann aber im Bus über eine Stunde schlafen, was mir sehr weiter half.
Trotz der vielen harten Umstände, konnten wir es schaffen. Wir haben nicht aufgegeben, obwohl wir beide stark gelitten haben. Aber das ganze Leiden hat sich gelohnt, denn nun haben wir beide eine Geschichte, die wir für ewig positiv erzählen können, anstatt allen zu erklären, warum wir es nicht schaffen konnten.
Veranstalter: Rennsteiglauf
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